Virtuelle Immobilien bringen echtes Geld

Virtuelle Immobilien bringen echtes Geld

Im letzten Monat erwarb Jon Jacobs als erster Mensch überhaupt für 100.000 Dollar eine virtuelle Immobilie. Das Kaufobjekt: eine Raumstation im Rollenspiel „Project Entropia“. Die Aussichten: barer Gewinn. Einsichten in ein faszinierendes Universum.

Von Daniel Terdiman, 12. Dezember 2005

Jon Jacob nennt sich online „Neverdie“ und ist so etwas wie eine Berühmtheit im Weltraum-Fantasy-Spiel „Project Entropia“. Mit 100.000 Dollar hat er gerade eine virtuelle Raumstation gekauft. Er ist so überzeugt von der Möglichkeit, diese gewaltige Investition schnell in Gewinn umzuwandeln, dass er sein echtes Heim beliehen hat.

Project Entropia ist ein virtuelles Universum mit einem reellen Wirtschaftssystem. Der Schauplatz ist Calypso, der erste bewohnbare Planet, der von Menschen entdeckt wurde. Jeder Spieler übernimmt die Rolle eines Kolonisten und arbeitet zusammen mit anderen Teilnehmern daran, eine neue Welt zu erschaffen. Das Leben in der Kolonie wird jedoch stets von feindlichen Kräften bedroht.

Jacobs Zuversicht basiert zum Teil auf den Erfahrungen von David Storey, der in diesem Jahr bereits den bisherigen Rekord für den höchsten je gezahlten Preis für ein virtuelles Anwesen aufgestellt hat. 26.500 Dollar hat er für Treasure Island, ein privates Stück Land von „Project Entropia“, auf den Tisch gepackt. Storey, so erklärte Jacobs, hat sein Geld durch Steuern schon wieder eingespielt. Diese erhält er von Jägern und Bergarbeitern, die auf seiner Insel jagen und schürfen.

Zwar ist es bisher noch nicht oft vorgekommen, dass Spieler fünf- oder sechsstellige Summen für virtuelle Gegenstände bezahlt haben, aber der Handel mit solchen Gütern boomt. Der Wert für alle virtuellen Gegenstände – Schwerter, Rüstungen, Unterkünfte, Fahrzeuge und dergleichen – wird auf mehrere Hundert Millionen Dollar pro Jahr beziffert. Und das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht.

CNET News.com/ZDNet hatte vor kurzem die Gelegenheit, mit Jacobs zu sprechen und sich mit seinem berühmten Avatar bekannt zu machen. Er erklärte, warum er sich auf etwas eingelassen hat, von dem der Rest von uns nicht einmal träumen würde.

ZDNet: Wo kommt das Alias Neverdie her?

Jacobs: Das ist meine Vorstellung der ultimativen Videospielfigur. Denn was passiert einem am häufigsten, wenn man Videogames spielt? Man stirbt. Die ultimative Figur ist also die, die niemals stirbt.

ZDNet: Warum ist Neverdie so bekannt im „Project Entropia“-Universum?

Jacobs: Das hat schon früh begonnen. Als ich angefangen habe zu spielen, war ich hinter all dem tollen Zeug her, ich war der Erste, der sich ein komplettes Set Shadow Armor gekauft hat, das war die Mega-Ausrüstung. Das war ein historischer Tag und zum ersten Mal machte sich Neverdie einen Namen. Etwa ein Jahr später habe ich einen Song („My girl is a gamer chick, I really love her so“) über meine Freundin aufgenommen. Ich habe ihn an die Entwickler von „Project Entropia“ geschickt und er hat ihnen auf Anhieb gefallen. Sie haben angeboten ihn in die Jukeboxes (auf die man überall im Spiel trifft) aufzunehmen. Das war einfach unglaublich. Ich konnte von Stadt zu Stadt reisen und die Leute spielten überall mein Lied. Sobald es sich herumgesprochen hatte, dass Neverdie einen Song geschrieben hat, wurde sowohl meine Spielfigur als auch die meiner Freundin berühmt.

ZDNet: Erzählen Sie uns etwas über die echte Geldwirtschaft des Spiels und wie Sie sich daran beteiligen?

Jacobs: Ich war gleich begeistert vom Konzept der echten Geldwirtschaft. Als Treasure Island versteigert wurde, habe ich alles verkauft und alles versucht, um genug Geld zusammenzubekommen, um die Insel zu kaufen. Ich hab es fast komplett mit den Gewinnen, die ich während des Spiels angehäuft hatte, versucht und letztendlich habe ich 26.000 Dollar geboten. Aber ich wurde überboten. Es war einer dieser wirklich historischen Momente wie in „Everquest“, wenn man seinen ersten Drachen tötet. Ich habe das Potenzial des Ganzen erkannt, aber das liegt hinter mir. Ich habe meine Lektion gelernt, nämlich, dass ich es mir nicht leisten kann, es nicht zu tun. Ich konnte es mir nicht leisten, auf dieses Weltraumressort zu verzichten. Es ist zu lukrativ. Der Käufer von Treasure Island hat seine Ausgaben innerhalb eines Jahres wieder reingespielt.

Virtueller Ausbau

Jacobs: Etwa 35.000 Dollar hatte ich innerhalb von drei Jahren im Spiel verdient (durch den Verkauf von virtuellen Gütern). Es gibt Gegenstände, die sind sehr, sehr teuer. Für den Rest des Geldes habe ich mein Haus beliehen. Was hätte ich von einem Anwesen am Strand von Miami gehabt? Ich wäre nur eine weitere Person mit einer Immobilie gewesen und wahrscheinlich hätte ich für mehrere Jahre keine Einkünfte gesehen. Wohingegen das winzige Stück Land, das ich mir für 1000 Dollar in „Project Entropia“ gekauft, schon etwa 15 Dollar pro Tag an Gewinn abwirft, das sind etwa 450 Dollar im Monat.

ZDNet: Woher kommen die Einkünfte?

Jacobs: Auf meinem besonders kleinen Stück Land habe ich sechs verschiedene Monsterarten, die andere Spieler jagen können. Ich kann den Bestand und die Populationsdichte jedes dieser Monster steuern, sowie ihr Alter. Ich kann also steuern, ob sie jung und somit leicht zu töten sind oder ob sie Supermonster sind, bei denen man sich ein Bein und einen Arm ausreißen muss, um sie zur Strecke zu bringen. Ich verlange von jedem, der auf meinem Land jagt, Steuern in Höhe von ein bis zehn Prozent des Jagdwerts. Wenn man also einen ganzen Sack voll Monster tötet und damit umgerechnet sieben Dollar erbeutet, verlange ich dafür Steuern. Wenn ich fünf Prozent berechne, bekomme ich 35 Cent. Sie fragen sich jetzt vielleicht: „Warum sollte ich gerade auf diesem Stückchen Land jagen gehen? Warum nicht dort, wo es nichts kostet?“ Der Grund ist der, dass ich alle noch so speziellen Jagdbedürfnisse befriedigen kann. Bei mir gibt es die richtigen Kreaturen in der richtigen Menge in einer günstigen Umgebung.

ZDNet: Erzählen Sie uns etwas über Ihre Weltraumstation!

Jacobs: Die Raumstation ist etwas ganz Besonderes, weil sie erstens zehn Jagdgebiete hat. Hier können vermutlich insgesamt 100 Jäger in einer Stunde gleichzeitig jagen. Das macht einen Bruttoumsatz von 1000 bis 5000 Dollar pro Stunde an Jagdwert, wovon ich Steuern in Höhe von ein bis zehn Prozent kassiere oder anders ausgedrückt: Ich bekomme 100 bis 500 Dollar in der Stunde nur für Jagdrechte.

Der Bergbau ist eine weitere Einnahmequelle und es wird auch 1000 Hotelzimmer geben. Auf der Raumstation gibt es keine Lagermöglichkeiten, was heißt, dass man als Jäger oder Bergarbeiter nicht sehr lange jagen und schürfen oder sich mit zu vielen Stücken beladen kann, weil man sich dann nicht mehr bewegen kann. Dann kommt schnell der Wunsch auf, seine Vorräte irgendwo zu lagern, und daher lohnt es sich, ein Apartment zu mieten. Ich werde auch 200 Läden aufbauen, so dass Jäger und Handwerker ihre Waren zum Verkauf anbieten können. Und das hier ist der Knackpunkt und deshalb habe ich die Raumstation gekauft: Warum kommen Leute hierher? Zum Beispiel weil ich die Spieler via Stream mit Sound und visuell unterhalten kann. Bei mir werden DJs live auflegen. Bekannte Top-DJs werden mit fantastischer Musik für Unterhaltung sorgen und ich werde publik machen, dass Fans ihre Lieblings-DJs live in der virtuellen Realität erleben können.

Verdienstmöglichkeit: Bis zu 1,68 Millionen Dollar im Jahr

ZDNet: Wie viel Geld können Sie damit verdienen?

Jacobs: Wenn man von einer Jagdzeit von 20 Stunden pro Tag, 100 Jägern auf einmal und fünf Prozent Steuern ausgeht, macht das 5000 Dollar am Tag. Das sind 35.000 Dollar in der Woche, 140.000 Dollar im Monat und 1,68 Millionen Dollar im Jahr. Das nenne ich ein erfolgreiches Geschäft.

ZDNet: Das hört sich wie ein guter Plan an, aber auch ein wenig weit hergeholt, oder?

Jacobs: Eigentlich nicht. Vor zehn Jahren habe ich mich gefragt, was am Internet dran ist, ob man Filme online schauen kann, und ich habe mir Gedanken darüber gemacht, ob ich meine Kreditkarten übers Internet nutzen sollte. Heute hören viele von Online-Spielen und sie begreifen nicht, warum die virtuelle Realität einen Schritt weiter ist als das Web. Es ist eine Online-Welt mit einer Gemeinde, die eine besser und weiter ausgeprägte Fähigkeit hat, sozial zu interagieren, und das in höherem Maße als bei normalen Onlinespielen, da die User auf einer physischen Ebene miteinander in Beziehung stehen und nicht nur chatten.

Wer jemals „Everquest II“ gespielt hat, weiß, dass, egal wohin einen der Weg führt, überall Leute sind, die kaufen und verkaufen. Man kommt in einen öffentlichen Bereich und die Leute bieten dieses und jenes an. Es erinnert stark an eine Handelsgemeinschaft und das Geld ist echt. Und vergessen Sie nicht den Gamer, der Treasure Island gekauft hat. Immerhin hat er 26.500 Dollar dafür hingeblättert und elf Monate später hatte er die 26.500 Dollar wieder raus. Er besitzt die Insel immer noch und wenn er sie verkaufen würde, könnte er einen Verkaufspreis von 100.000 Dollar erzielen, was einem Wertzuwachs der Immobilie von 400 Prozent entspricht.

ZDNet: Sie haben jetzt all dieses Geld investiert. Haben Sie eine Versicherung für den Fall, dass der Betreiber das Spiel einstellt oder abbricht?

Jacobs: In dieser Hinsicht habe ich kein Sicherheitsnetz. Und ich habe diesen Kauf nicht auf die leichte Schulter genommen. Ich habe lange darüber nachgegrübelt, wirklich. Wie ich bereits erwähnt habe, wollte ich mehr Geld bei der Versteigerung von Treasure Island bieten, habe es dann aber mit der Angst bekommen. Und dann habe ich die Entwicklung über das Jahr beobachtet.

Ich beteilige mich seit drei Jahren aktiv an der realen Geldwirtschaft in „Project Entropia“ und habe häufig Geld aus dem Spiel genommen, um meine Rechnungen oder um meine Hypothek zu bezahlen, wenn es finanziell eng war. Ich hatte gerade eine Anzahlung für eine Eigentumswohnung in South Beach geleistet, als die Hurrikans über das Land hereinbrachen. Der erste kam und ich sollte die zweite Rate zahlen, da habe ich es mit der Angst bekommen und bin ausgestiegen. Der amerikanische Wohnungsmarkt hat sich abgekühlt und Greenspan hat nach dem Hurrikan Katrina den Zinssatz erhöht. Ich habe in der Folge das Vertrauen in die amerikanische Wirtschaft verloren. Ich habe erkannt, dass es gerade jetzt bessere Kaufgelegenheiten in einer virtuellen Welt als in der amerikanischen Wirtschaft gibt – und dass einem nur dort dieses Gewinnpotenzial geboten wird.

ZDNet: Gab es viele andere Bieter für die Raumstation?

Jacobs: Soweit ich weiß, gab es acht andere Interessenten, die seriöse Angebote abgegeben haben. Der User, der Treasure Island gekauft hat, hätte sie tatsächlich eine Stunde später gehabt. Und das sagt so einiges. Ein Spieler, der bereits 26.500 Dollar investiert hat, versucht 100.000 Dollar zu bieten, um eine weitere Immobilie zu erwerben. Warum? Er weiß besser als jeder andere, dass eine Investition in dieser Größenordnung realistisch ist. Und am nächsten Tag wurden mir 200.000 Dollar geboten. Aber das war zwecklos. In der realen Welt muss man ein Unternehmen aufbauen und viel Arbeit reinstecken, um diese Einkünfte zu erreichen. Also habe ich mich entschieden, das Beste aus meiner Investition zu machen, um beträchtliche Gewinne einzufahren.

CNET News.com/ZDNet
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